Lisa Duggan, Kathleen McHugh
Ein fem(me)inistisches Manifest
übersetzt von Katja Wiederspahn und Dagmar Fink (gender et alia)
in: Sabine Fuchs (Hg._in): Femme! radikal – queer – feminin
Berlin: Querverlag 2009, S. 47-55 [Auszug]

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I. Die Identität oder das Wesen der Fem(me)
Eins nach dem anderen: Was ist eigentlich unter einer Fem(me)-Identität zu verstehen?

Ein Vorschlag oder eine Arbeitshypothese: Die Fem(me) ist la je ne sais quoi, die Differenz begehrt vor jeder Bestimmung von sexueller Präferenz oder Geschlechtsidentität. Fem(me) Sein ist etwas, das du anlegst, ein Bluff, die Produktion eines Fetischs seitens eines Subjekts, das zum Objekt wird, zum Fetisch, während sie zugleich immer einen Sinn für die Performance behält, stets belustigt und doch (das ist die Herausforderung, der Fehdehandschuh, den sie auf den Boden schleudert) von deren Auswirkungen möglicherweise gelangweilt. Die Fem(me) ist die Performativität, die Unaufrichtigkeit, das Sich-lustig-Machen, die Verspottung des Vorspiels – sie ist die Wette, das Wagnis, das die Aufmerksamkeit der umwerbenden Person auf sich Lenken, der Person, die (ihr) Lust bereitet. Die Performer_in, die als Gegenleistung Performance verlangt, die Spieler_in, die Lust ins Spiel bringt.

Eine Fem(me) ist also eine sie?

Sagen wir einfach, „sie“ ist das Pronomen, in dem eine Fem(me) oft zuhause ist.

Über eine „Fem(me)“-Identität zu sprechen, macht die Fem(me), macht alle Fem(me)s kleiner. Warum das? Die Fem(me) ist weder ein Ideal noch eine Kategorie. Sie macht eine Szene, setzt sich in Szene, hat ihren Auftritt – sie stiehlt die Schau (sie ist die Schau) der Differenz, sie kann jedoch nicht auf eine bestimmte Wirkung „an sich“ festgelegt werden. Die Fem(me) ist der Interaktion verpflichtet, sie ist niemals onanistisch oder narzisstisch. Spiegel sind ihr kein Meer, in dem sie ertrinkt, sie sind vielmehr Mittel und Metapher der ihr eigenen Ironie. Ihre Perspektive ist immer auch übersinnlich – Bergers „Frauen, die sich selbst als diejenigen beobachten, die angesehen werden“, Mulveys „Angesehen-Werden“ ohne Tragik. Wer ist dieses „Ich“, diese (Id)Entität, dieses Wesen, das von zwei Positionen aus beobachtet? Während sie dich ansieht, Kleines, taxiert sie zugleich die Szene. In ihrem zweifachen Blick setzt sich sexuelle Potenz selbst bis zum letzten aufs Spiel (Nietzsche verstand dieses Spiel sehr gut) – die Liebhaber_in, die Verehrer_in, die beobachtete Beobachter_in, taxiert, aufgezogen, abgeschätzt. Nur eine wirklich fesselnde Performance kann eine Fem(me) ganz zu sich selbst zurückbringen, so dass sie sich selbst, ihren anderen Blick in alles verschlingender Ekstase verliert. Sie kennt ihre Spiele, ihre Wirkung verwandelt Triumph in Vernichtung, Verlust in Gewinn, und all das zu ihrer eigenen jouissance, ihrer Lust. Doch wer weiß das schon wirklich? Denn ebenso wie die Vaterschaft beruht die Lust der Fem(me), ihre wahre Lust, auf dem Wort. Und einer Fem(me) kannst du niemals trauen. Ihr zweites Gesicht wird, wie lauter ihre Absichten auch sein mögen, immer dazu führen, dass sie eine Wahrheit auf Kosten einer anderen ausspricht.

In ihrer Bezeichnung – Fem(me) – ist ein Ich eingeschlossen („me“), eine fundamentale Herausforderung der Kategorie, des zugedachten Raumes, des Ideals der Weiblichkeit. Historisch besehen ist das Weibliche scheinbar Ich-los, ist es jeglicher aktiver Triebe, Handlungsfähigkeit, Beweglichkeit oder auch Denkfähigkeit beraubt. Die Fem(me) verfolgt diese historische Verirrung von innen und von außen. Das vom Weiblichen Verdrängte kehrt von innen wie von außen als Zukunft des Begehrens wieder. Die Fem(me) verweigert das Schicksal des Von-Natur-aus-Mädchen-Seins, sie entscheidet sich vielmehr aus freien Stücken, Mädchen zu sein. Da sie in der Androgynie (der Zurückweisung alles Weiblichen) zuviel Verlust, zu wenig Lust und nicht zuletzt hässliche Schuhe entdeckt, nimmt sich die Fem(me) von der Weiblichkeit den Kleiderschrank, den Gang und den Augenaufschlag, um sodann die Totenglocke für eine klägliche, moralischen Interessen unterworfene und dadurch entstellte Sexualität zu läuten.

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IV. Warum die Fem(me)-Wissenschaft so brillant ist
Damit wir uns richtig verstehen: Die Fem(me)-Wissenschaft ist ein Witz, brüllendes Gelächter, das jede Vorstellung von Weiblichkeit, die sich selbst ernst nimmt, ins Lächerliche zieht und vernichtet. Die Fem(me)-Wissenschaft fordert eine Umwertung aller weiblichen Werte. Ihr Ziel ist es nicht zu erklären oder zu belehren, sondern jene Leidenschaften zu evozieren und zu provozieren, die in aller Regel den Bodensatz einer kontrollierten, objektiven und didaktischen Prosa bilden. Die Richtung, die ihre Provokationen nehmen, können wir an dieser Stelle jedoch nur andeuten…

In Bezug auf Stilfragen (Stil ist und wird immer mehr die einzig wichtige Frage) verachtet die Fem(me)-Wissenschaft jeden Ansatz von Aufrichtigkeit im Aussehen (ausgenommen das Aussehen im buchstäblichen Sinne, das sich gewahr ist, dass auch Aufrichtigkeit nichts als Schein ist). Die Fem(me)-Wissenschaft stellt die Würde und Weisheit einer jeden und eines jeden infrage, die ohne ein Fünkchen Ironie Pink tragen oder ein Blumenmuster ohne blutrünstiges oder umstürzlerisches Design.

Die Fem(me)-Wissenschaft lehrt uns, dass die „Liebenswürdigkeit“, die wir in einem Sex-Kont(r)akt schenken, ein armseliger Preis ist. Wie viel köstlicher, höher geschätzt wäre eine solche “Liebenswürdigkeit“, wenn sie von einem boshaften Schlag, einem Biss oder Kratzen begleitet würde. Wir wollen hier jedoch nicht nur über die Liebe reden. Lasst uns das Thema wechseln und über Macht und Wissen sprechen.

Die Fem(me)-Wissenschaft schließt sich der Kritik an traditioneller Forschung und ihrer Vorspiegelung von Objektivität an. Sie zieht jedoch auch über das Paradigma her, das die Objektivität abgelöst hat – das alle erkenntnistheoretischen Fragen als Probleme der Interpretation versteht – was sie selbstverständlich nicht sind. Fem(me)-Wissenschaftler_innen befinden sich in der dritten Phase der Forschung. Wir sind weder an Phase eins interessiert (Erläuterung / Objektivität / “Faktum“) noch an einer politisch korrekten zweiten Phase (Interpretation / Relativierung / Positionierung), sondern vielmehr an Phase drei – unter dem Namen Fem(me)-Wissenschaft bekannt und gefürchtet. Die Fem(me)-Wissenschaft soll als herrschende (unsere Wortwahl ist hier ganz bewusst) Metapher in der Organisation der Erkenntnistheorie im nächsten Jahrhundert die politische Korrektheit ersetzen. Erläuterung und Interpretation interessieren uns nicht, sondern die interessierte begehrende Macht der Wahrheit, die interessierte begehrende Wahrheit der Macht. Die Schönheit der Fem(me)-Wissenschaft liegt darin, dass sie nicht auf roher Gewalt beruht, der Zerstückelung von Daten in Forschungsapparaturen oder der Objektivierung des Objekts seitens eines despotischen Subjekts (Phase eins). Ebensowenig führt sie die Verwirrung von Phase zwei mit sich, in der alles zur Disposition gestellt wird, in der das Subjekt ganz und gar von seiner diskursiven Konstruktion abhängt, und die Rechte so oder so die Linke kooptiert. Die Fem(me)-Wissenschaft erkennt ganz im Gegenteil, dass sie gewinnen muss, und daher bemüht sich die Fem(me)-Wissenschaftler_in – wie eine zart behandschuhte Hand, die, sollte es nötig sein, dazu fähig ist, schmerzhafte Schläge auszuteilen – um liebevolle, dankbare Zusammenarbeit.

Die Fem(me)-Wissenschaft lehrt klar und deutlich, dass nicht nur alles besser funktioniert, sondern auch viel interessanter ist, wenn Fem(me)s das Sagen haben. […]

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