Miwon Kwon
Ortungen und Entortungen der Community
übersetzt von Dagmar Fink und Elke Koch (gender et alia)
in: Christian Meyer, Mathias Poledna (Hg.):
Sharawadgi. Köln: König 1999, S. 199-220 [Auszug]
Ortsbestimmt, ortsorientiert, ortsverweisend, ortsbewußt, auf den Ort reagierend, ortsbezogen. Das sind einige der neuen Begriffe, die in den letzten Jahren im Vokabular vieler KritikerInnen und KünstlerInnen aufgetaucht sind, um den Verschiebungen ortsspezifischer Kunst in den 90er Jahren Rechnung zu tragen. Zum einen ist das Phänomen eine Art Rückbesinnung – ein Versuch, das kritische Potential zu rehabilitieren, das mit den anti-idealistischen und ortsspezifischen Praktiken der späten 60er Jahre assoziiert wurde, bei denen die materiellen Bedingungen eines bestimmten Ortes ein integraler Bestandteil der Produktion, Präsentation und Rezeption von Kunst waren. Zum anderen signalisiert es das Bedürfnis, gegenwärtige Praktiken von vergangenen zu unterscheiden – einen Unterschied zu den künstlerischen Vorläufern der Ortsspezifik zu markieren, deren dominante positivistische Formulierungen (wie Richard Serras Tilted Arc) man an einem Punkt ästhetischer und politischer Erschöpfung angelangt sah.
Dieses Anliegen, das Verhältnis zwischen dem Kunstwerk und seinem Ort neu zu überdenken, wird großteils von der Art und Weise herausgefordert, wie der Begriff „ortsspezifisch“ in Mainstream-Kunstinstitutionen und -diskursen unkritisch als eine weitere Genrekategorie übernommen wurde. Tatsächlich fällt der Begriff heute in einer unendlichen Reihe von Katalogessays, Presseverlautbarungen, Förderungsansuchen, Zeitschriftenrezensionen und KünstlerInnenstatements auf; wird relativ wahllos auf unzählige Kunstwerke, Museumsausstellungen, öffentliche Kunstprojekte, städtische Kunstfestivals und architektonische Installationen angewandt und als automatisches Zeichen für „kritisches Potential“ oder „Progressivität“ von KünstlerInnen, ArchitektInnen, HändlerInnen, KuratorInnen, KritikerInnen, KunstadministratorInnen und Funding-Organisationen gleichermaßen begrüßt. (1) Für diejenigen, die daran festhalten, daß Vereinnahmung die brauchbarste Erzählung darstellt, um das Verhältnis zwischen Kunst, Kulturindustrie und politischer Ökonomie des zwanzigsten Jahrhunderts zu beschreiben, sind die unspezifischen Verwendungen von „ortsspezifisch“ lediglich ein weiteres Beispiel dafür, wie avantgardistische, sozial bewußte und politisch engagierte künstlerische Praktiken (immer) von der herrschenden Kultur assimiliert und dadurch domestiziert werden. Mit dieser Argumentation würden sie auch darauf beharren, daß die ästhetische und politische Wirksamkeit ortsspezifischer Kunst heute nur deshalb unbedeutend oder harmlos erscheint, weil sie von institutionellen Kräften und Kräften des Marktes geschwächt und umgelenkt wurde.
Gegenwärtige Bemühungen, das Verhältnis Kunst/Ort neu zu definieren, sind jedoch auch von der Erkenntnis geprägt, daß, wenn ortsspezifische Kunst nicht mehr brauchbar erscheint – weil ihre kritische Zuspitzung gebrochen und ihr Druck absorbiert ist – es zum Teil auch an den konzeptuellen Beschränkungen bestehender Modelle der Ortsspezifik selbst liegt. In Reaktion darauf haben viele KünstlerInnen, KritikerInnen, HistorikerInnen und KuratorInnen, die in ihren Arbeiten gegebene Vorstellungen des Ortsspezifischen problematisieren, alternative Formulierungen vorgeschlagen – wie etwa kontextspezifisch, diskussionsspezifisch, publikumsspezifisch, themenspezifisch, auf einer Gruppe basierend, projektorientiert usw. Es sind dies Versuche, komplexere, nuanciertere und beweglichere Möglichkeiten des Verhältnisses Kunst/Ort auszuloten und zugleich das Ausmaß zu erfassen, in dem gerade das Konzept des Ortes in den vergangenen drei Jahrzehnten destabilisiert wurde. (2)
Vor diesem allgemeinen Hintergrund beschäftigt sich dieser Essay mit den Diskussionen um ein prominentes Modell der Verschiebung in der ortsspezifischen Kunst der letzten Jahre, insbesondere in den USA: mit Community-Based Art (vom lokalen oder partikularen Zusammenhang einer Gemeinschaft ausgehende oder sich darauf beziehende Kunst). (3) Diese Verschiebung – vom Ort zur Community, oder der Umwandlung der Community in einen Ort – wird von vielen als logischer Schritt zu einem engeren Verhältnis zwischen KünstlerIn und seinem/ihrem lokalem Publikum angesehen, und als ein effektvolles Mittel, die Distanz zwischen den traditionell getrennten Polen von Produktion und Rezeption zu verringern. Solcherart wird Community-Based Art oft als künstlerisch und politisch progressive Form der Praxis gefeiert, die – indem sie die Autorität der AutorInnenschaft, häufig durch kollaborative Arbeitsmethoden, auf nicht-künstlerische TeilnehmerInnen verteilt – eine demokratischere Erweiterung der Kunst in das alltägliche Leben darstellt. (4) Ein Großteil all derer, die diese Verschiebung unterstützen, bleibt jedoch unkritisch und kaum analytisch. Mit diesem Essay möchte ich eine komplexere Einschätzung von Community-Based Art skizzieren (und damit implizit auch von anderen Varianten der Ortsspezifik): als sowohl künstlerischen als auch politischen Vorschlag. Wenn diese Diskussion in einem westeuropäischen Kontext vielleicht nicht unmittelbar relevant erscheinen mag, so biete ich sie im festen Glauben an, daß Community-Based Art und die damit einhergehenden politischen und ethischen Fragen in den kommenden Jahren auch in der europäischen Kulturszene zunehmend an Bedeutung gewinnen werden. […]