Kobena Mercer
Afrikanische Fotografie in der zeitgenössischen visuellen Kultur
übersetzt von Susanne Lummerding und Katja Wiederspahn (gender et alia)
in: Camera Austria 75/2001, S. 28-37 [Auszug]
Die afrikanische Fotografie kam in den Neunzigern weltweit in Umlauf. Das zeitgenössische Publikum wurde durch mehrere Großausstellungen wie etwa ‚In/Sight: African Photographers, 1940 to the Present‘ im Guggenheim Museum in New York (1966), ‚L’Afrique par elle-même‘ im Maison Européenne de la Photographie in Paris (1998) und `Africa by Africa´im Barbican Arts Centre in London (1999) mit einer ganzen Bandbreite fotografischer Verfahrensweisen bekannt gemacht. Die Arbeiten von Seydou Keita, Malick Sidibé und Samuel Fosso fanden durch den Fluß der Bilder, der mit der Veranstaltung dieser Ausstellungen verbundenen war, breite Beachtung. Und tatsächlich bilden die stilistischen Merkmale, die den unverkennbaren „Look“ afrikanischer Fotografie ausmachen, nicht nur neue Quellen der Schaulust, sondern werfen auch neue Fragen in Bezug auf das Verständnis des kosmopolitischen Charakters der Fotografiegeschichte auf. Der folgende Überblick reflektiert die divergierenden Ansätze kuratorischer Auswahl und untersucht die Motive der ihnen zugrunde liegenden Forschungsparadigmen, wobei sich beträchtliche Unterschiede hinsichtlich der Akzente zeigen lassen, die im Schreiben über afrikanische Fotografie und ihrer Aufnahme in den Diskurs gesetzt werden.
Nach dem römischen Gelehrten Plinius ‚ex Africa semper aliquid novi‘ – kommt aus Afrika immer etwas Neues. Allein der Reichtum und die Vielfalt des fotografischen Materials, das jetzt ans Licht kommt, scheint diese uralte Einsicht zu bestätigen. Die zweite der drei Ausstellungen, die in englischer Sprache unter dem Titel ‚Anthology of African and Indian Ocean Photography’publiziert wurde, war in ihrer historischen Bandbreite wirklich atemberaubend. Die Auswahl, die Studio-Porträts aus Sansibar, Dakar, Lagos und Kapstadt aus den 1890ern bis zu den 1920ern, Fotojournalismus und Pressereportagen aus den 1950ern und 1960ern bis hin zu künstlerischer Fotografie aus der afrikanischen Diaspora in afro-amerikanischen, afro-britischen und lateinamerikanischen Kontexten umfaßte, legt den Schluß nahe, daß das „Neue“ an der Geschichte der afrikanischen Fotografie offenbar darin besteht, daß sie so alt ist wie die Geschichte der Fotografie im Westen!
In seiner Gesamtheit betrachtet suggeriert das in den drei Ausstellungen gezeigte Material eine transkulturelle Parallele, welche die Geschichte der afrikanischen Fotografie als koextensiv mit der allgemeinen Geschichte der Fotografie darstellt, das heißt, die Geschichte der Fotografie, wie sie im Westen verstanden wird. Die Chronologie, in der die afrikanische Fotografie sich vom Porträt über den Fotojournalismus zu einer künstlerischer Praxis entwickelt hat, bestätigt die Ansicht, daß Fotografie als Technologie der Bildproduktion nicht so sehr durch die Besonderheit des Mediums als vielmehr durch die Vielzahl ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Anwendungen definiert wird. Darüber hinaus – wie um zu unterstreichen, was Olu Oguibe im ‚In/Sight‘-Katalog die „Unverzichtbarkeit menschlicher Vermittlung“ nennt – zeugen die von afrikanischen FotografInnen geschaffenen Bilder von einer historischen Dialektik innerhalb der visuellen Kultur der Moderne. Einerseits war die Fotografie ein integraler Bestandteil einer visuellen Technologie, die Repräsentation zu einem Angelpunkt der Politik des Kolonialismus werden ließ. Die Kamera wurde benutzt, um die Taten der EntdeckerInnen, der Armeen, MissionarInnen und VerwalterInnen zu dokumentieren, die alle Bilder herstellten, die AfrikanerInnen als ganz „anders“ darstellten. Andererseits jedoch benötigten die EuropäerInnen die Unterstützung der AfrikanerInnen, um die Bilder überhaupt machen zu können. Sie schleppten häufig die sperrigen 30x50cm-Boxkameras, von denen der sogenannte koloniale Blick abhängig war. Aus dieser interaktiven Dynamik ergab sich eine Situation des Technologietransfers, in der die Kompetenzen, die sich AfrikanerInnen als „Lehrlinge“ europäischer FotografInnen erwarben, nach und nach dahingehend adaptiert wurden, das Ausdrucksbedürfnis und die schöpferischen Entscheidungen zu befördern, die afrikanische Subjekte für sich selbst trafen.
Die zahlreichen Fotostudios, die ab 1890 in Hafen- und Küstenstädten eröffnet wurden, zeugen von einem solchen, der afrikanischen Fotografie zugrunde liegenden Prozeß der Adaption und Appropriation. Alex Agbaglo Acolatse (1880-1975) schuf elegante Porträts des togolesischen Bürgertums, den sepia-getönten Porträts der ortsansässigen Oberschicht ähnlich, die in den Studios von Ramilijoana (1887-1948) und Razakar (1871-1939) entstanden. Dies ist wichtig, denn es bereichert unser Verständnis transkultureller Momente von Hybridität in der Fotografiegeschichte. Entgegen dem weit verbreiteten Mythos von furchtsamen bzw. abergläubischen Eingeborenen, die Angst haben, daß ihnen die Kamera die Seele raubt, finden wir in Bildern wie der kongolesischen Dorfszene, die 1939 von Antoine Freitas aufgenommen wurde und den Fotografen bei der Aufnahme eines Porträts im Freien zeigt, umringt von neugierigen und lebhaft Anteil nehmenden ZuschauerInnen [Abb. 1], ein historisches Beweisstück, das die eurozentristischen Annahmen unterminiert, die in afrikanischen Kulturen einst die Antithese der Moderne per se sahen. Was stattdessen sichtbar wird, ist eine interaktive Geschichte, in der sich infolge der dynamischen Begegnung unter den ungleichen Bedingungen in den kolonialen Gesellschaften Elemente afrikanischer und europäischer Kulturen Veränderungen gegenüber öffneten. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Erkenntnisse und Grenzen der drei wichtigsten Forschungsparadigmen gegeneinander abwägen, um am Ende zu einer interpretierenden Synthese zu kommen. […]