Margaret Morse
Der Moderator als Persönlichkeit.
Überlegungen zur Glaubwürdigkeit der TV-Nachrichten
übersetzt von Susanne Lummerding und Johanna Schaffer (gender et alia)
in: Vor der Information, Bd. 2, Heft 3/4, Wien, März 1995, S. 16-32 [Auszug]
Nachrichten von Irgendwo
Nachrichten sind als privilegierter Diskurs mit einer spezifischen Beziehung zur Realität ausgestattet. In mobilen, fragmentarisierten Gesellschaften hat dieser Diskurs zudem eine kollektivierende Funktion, da er Menschen verbindet und den isolierten und zunehmend ent-institutionalisierten privaten Wahrnehmungsraum mit der externen öffentlichen Welt zusammenführt. In modernen westlichen Gesellschaften sind Nachrichten daher zu einem unentbehrlichen ideologischen Instrument geworden (in den USA werden sie als elementarer Bestandteil der Demokratie betrachtet). Auch wenn andere Nachrichtenmedien in Bezug auf Informationsübermittlung immer noch eine wichtigere Rolle als das Fernsehen spielen, stehen die TV-Nachrichten symbolisch für Nachrichten per se und gelten als Indikator für das öffentliche Interesse an bestimmten, für die amerikanische Gesellschaft relevanten Themen. Voraussetzung für die Wirkung der Nachrichten als gesellschaftlich bindende, kohäsive Kraft ist jedoch vor allem ihre Glaubwürdigkeit. Seit der Einführung der Nachrichtensendungen im Fernsehen haben sich jene Formen und Werte, die die Glaubwürdigkeit der Nachrichten aufrechterhalten, über die Jahre hinweg signifikant gewandelt. Im vorliegenden Aufsatz verorte ich diesen Wandel in einer Verschiebung der Balance zwischen objektiven und subjektiven Modi der Nachrichtenproduktion. Im wissenschaftlichen Diskurs wird ausschließlich das journalistische objektive Nachrichtenmodell anerkannt, während subjektive Ausdrucksweisen im allgemeinen schlicht als Abweichung oder Minderung des Informationswertes betrachtet werden, als für professionelle Nachrichtenproduktion atypisches „Showbusiness“ und boulevardmäßige Sensationsgier. Subjektive Ausdrucksweisen in den Nachrichten können jedoch einen weit stärkeren Einfluß darauf haben, was wir als „wirklich“ ansehen, als dies die alten, an Printmedien gebundenen Nachrichten vermögen.
I. Abkehr von objektiven Formen: Die Konstruktion eines Nachrichtensubjekts
Den Unterschied zwischen TV-Nachrichten und den älteren Zeitungsnachrichten verdeutlicht die Antwort auf die Frage: „Wer spricht?“ Zeitungsnachrichten entwickelten eine Erzählweise, einen Stil und einen Inhalt, der den subjektiven Ursprung einer „Story“ zugunsten einer „Wirklichkeit“ unterdrückte, die eine eigene Stimme zu besitzen schien. Zwar sind die Fernsehnachrichten aus diesem älteren, in der linguistischen Theorie als „Story“ bezeichneten Modus des Adressierens hervorgegangen und diesem nach wie vor verpflichtet. Dennoch haben sie mit der Zeit einen eigenen, dem „Diskurs“ ähnlichen Addressierungsmodus entwickelt. Nach Emile Benveniste bezeichnet Diskurs „jede Äußerung, die einen Sprecher und einen Hörer annimmt sowie beim Sprecher die Intention, auf den anderen in irgendeiner Weise Einfluß zu nehmen. [Der Begriff umfaßt] alle Genres, in denen jemand sich als Sprecher kundgibt und das Gesagte unter dem Blickpunkt der Kategorie ‚Person‘ organisiert.“
Im Zuge der historischen Entwicklung der Zeitungsnachrichten wurde das, was einmal Berichte von und für bestimmte Interessengruppen gewesen waren, mittels einer Ideologie der Objektivität und Unvoreingenommenheit in „objektive Berichte“ verwandelt, die sich an eine allgemeine Öffentlichkeit richteten und als Allgemeinwissen anerkannt wurden. Mit dem Begriff the news wird in Amerika seit den 1830er Jahren im allgemeinen eher die Vorstellung des Singulars denn der Plural verbunden; seitdem hat es zahlreiche Zeitungen gegeben, aber immer nur one news.
Neben inhaltlichen Kriterien für Nachrichten-Stories (Ausgewogenheit, Fairness, etc.) wurden auch entsprechende gesellschaftliche Rollen (z.B. die der ReporterInnen) und Techniken (z.B. das Interview) entwickelt. Unterstützt und ermöglicht wurden diese Techniken zur Produktion „objektiver Inhalte“ durch ältere technologische Erfindungen im Bereich des Druckwesens und durch eine „objektive“ Erzählweise (die gleichermaßen in Gerichtssälen wie auch in Romanen angewandt wurde), in der es galt, die Person des Erzählers soweit als möglich zu unterdrücken. Stories schienen aus dem Nichts zu kommen.
Die Trennung zwischen SprecherIn und Meldung sowie die Übertragung der Meldung mittels automatisierter Print- und Aufnahmeverfahren bewirkten, daß Wort und Bild objektive Autorität annehmen konnten. Selbst die Stimme, das Hauptinstrument menschlicher Subjektivität, schien in den Radionachrichten von einer transzendenten Quelle herzurühren. Sie war geisterhaft, entkörperlicht und zielte mit ihrer spezifischen Stimmlage auf einen erhabenen Ton. Die Wochenschau hatte zwar eine dem Fernsehen ähnliche audiovisuelle Form, folgte aber Regeln der Nachrichtenpräsentation, die denen, die später für das Fernsehen entwickelt wurden, in keiner Weise glichen. Im Team der Wochenschau hatte der Kameramann absolute Priorität, BerichterstatterInnen verrichteten ihre Arbeit unsichtbar hinter den Kulissen, und die Öffentlichkeit lächelte und produzierte sich gehemmt vor der Kamera. Quell der Autorität der Wochenschau war die visuelle Präsentation eines Ereignisses, ergänzt durch eine schwungvolle Voice-Over-Erzählung.
Heute überrascht uns ein Triumvirat an NachrichtenmoderatorInnen in den jeweiligen Sendeanstalten oder „überregionalen“ Nachrichtensendungen ebensowenig wie die Unmenge an Konventionen, die das Format der TV-Nachrichten bestimmen. Die emotionalen Akzente, die beispielsweise Musik und nachsynchronisierte Sound-Effekte der Wochenschau verliehen, wurden fast vollständig aus den TV-Nachrichten eliminiert, während hingegen die NachrichtensprecherInnen ins Bild gesetzt wurden und sich für die Öffentlichkeit der Blick in die Kamera verbat. […]