Geraldine Pratt
Das räumliche Imaginäre eines globalen Feminismus
übersetzt von Dagmar Fink und Jutta Braidt (gender et alia)
in: Dominique Grisard, Jana Häberlein, Anelis Kaiser, Sibylle Saxer (Hg._innen):
Gender in Motion. Die Konstruktion von Geschlecht in Raum und Erzählung.
Frankfurt/Main: Campus 2007, S. 81-103 [Auszug]
[…]
3. Der Aufbau transnationaler feministischer Allianzen
Im Allgemeinen stehen feministische Geografinnen der generalisierten Form, in der die räumlichen Metaphern des Grenzgebietes und der Mobilität in der feministischen Theorie für emanzipatorische Vorstellungen von Identifikation und Subjektbildung eingesetzt werden, skeptisch gegenüber. Zweierlei Probleme stellen sich hier. Erstens kann die Überbetonung von Mobilität und Grenzgebieten den Effekt haben, die Erfahrungen bestimmter Kategorien von Frauen, häufig eher der reicheren, zu simplifizieren und gleichzeitig zu übertreiben (für eine Zusammenfassung dieser Kritik vgl. Pratt 2004). Gayatri Spivak beispielsweise kritisiert die Tendenz, Globalisierung mit Migrationsbewegungen und Diaspora gleichzusetzen, ländliche Bevölkerungen zu ignorieren und davon auszugehen, dass »der gesamte Globus in der gleichen kulturellen Klemme steckt und deren Signatur Urbanisierung ist… Das wesentlich Aufsehen erregendere urbane Phänomen ist jedoch, was sichtbar und was dienlich ist« (Spivak 2002: 611). WissenschafterInnen stellen diese städtischen Diasporas häufig innerhalb der Geschlechter-Rassisierungs-Klassenverhältnisse des ›Empfänger‹-Landes dar. Diese Analysen, so Spivak, operieren innerhalb eines »strukturierten ideologischen Feldes« abgetragener Binaritäten (schwarz/weiß, arm/reich, Peripherie/Zentrum), und »bleiben narzisstisch, Fragen unbeantwortet lassend«, solange sie die Analyse auf die »Zwangslage« des Empfängerlandes beschränken (Spivak 2000: 335). Spivak ruft uns ins Gedächtnis, dass viele MigrantInnen sozial aufsteigen, oft zur Mittelschicht zählen und über eine gute Ausbildung verfügen: folglich zu den relativ privilegierten Mitgliedern der Gesellschaften zählen, aus denen sie migriert sind. Wie bereits festgestellt, ist die Konstruktion migrantischer Arbeitskräfte als reine Opfer der Globalisierung eine krude Verzerrung der beschränkten Handlungsfähigkeit, die diese innerhalb der Erfahrungen erzwungener Migration haben. Doch Spivaks Argument reicht noch weiter: Viele migrantische ArbeiterInnen aus Übersee sind selbst der Mittelschicht angehörige Fachkräfte (für das Beispiel philippinischer migrantischer ArbeiterInnen, vgl. Parrenas 2005 und Pratt 2004). Wenn wir uns lediglich auf deren Erfahrungen konzentrieren, verfehlen wir, laut Spivak, »die wahre Globalisierungsfront«, die sie in den ländlichen Gegenden des globalen Südens verortet (Spivak 2002: 611).
Zweitens stehen feministische Geografinnen der Art und Weise, in der räumliche Metaphern in feministischer Wissenschaft angewendet werden, skeptisch gegenüber, weil deren Lesarten mobiler Subjektivität häufig allzu frei zu flottieren scheinen. Cindi Katz argumentiert, dass dies – ironischerweise – selbst auf Konzepte situierten Wissens zutrifft, insofern die geografischen Untermauerungen sozialer Verortungen typischerweise nicht erforscht werden. »Situiertheit suggeriert [in der feministischen Wissenschaft] eine [soziale] Verortung im abstrakten Verhältnis zu anderen«, so Katz, »nicht jedoch irgendeine spezifische Geografie. Die Konsequenz ist eine Politik der ›Orte‹ und ›Räume‹, aus der Materialität größtenteils verbannt wurde« (Katz 2001: 1230). Ihrer Ansicht nach wird Situiertheit auf diese Weise seltsam »nulldimensional« und abstrakt. Katz’ Unbehagen mit der Art und Weise, in der das Konzept des situierten Wissens in feministischer Wissenschaft vielfach angewendet wurde, kommt Kamala Visweswarans Kritik an Appadurai (Visweswaran 1997) relativ nahe. Dessen häufig zitierte Grenzüberquerungen zelebrieren diese als ProduzentInnen postnationaler Identifikationen. Visweswaran (1994) kritisiert Appadurais Tendenz, empirische Skizzen zu vervielfältigen, ohne sich der Besonderheit jeder einzelnen zu widmen – was seinen Beobachtungen eine Art allwissende Unsituiertheit verleiht. Wenn wir uns jedoch der materiellen Besonderheit jedes einzelnen Falles widmen, ermöglicht dies uns, eine Dynamik von Mobilität und Stillstand zu entdecken, sowie die ungeordneten und unbequemen Komplexitäten und MittäterInnenschaften von Grenzüberquerungen – inklusive der unordentlichen Komplexität, aus der eingeschränkte Möglichkeiten erwachsen können (wie beispielsweise die Möglichkeiten, die sich philippinische Migrantinnen in Hongkong selbst schaffen).
Katz hält jedoch dagegen, dass es auch noch einen anderen Effekt hat, sich den materiellen Besonderheiten zu widmen. Es ist dies ein Mittel, zwischen Orten zu übersetzen und, wie sie schreibt, »zu einer anderen Art [feministischer] Politik anzuregen, nämlich eine, in der das Durchqueren von Räumen und das ›Ausbrechen aus Maßstäben‹ (›jumping scale‹) eher obligatorisch ist, als dass es übersehen wird« (Katz 2001: 1231). Katz bietet die Metapher der Gegen-Topographie an und beschwört damit die Arbeit herauf, die getan werden muss, um den Grundstock für feministische Allianzen zu legen, die auf einem Wissen über die materiellen Verhältnisse an spezifischen Orten aufbauen. Topographie stellt sie sich als geduldigen Prozess des Kartierens von Höhenlinien vor, Lagen um Lagen von Höhenlinien, welche die Dreidimensionalität bestimmter Orte erstellen. Um beispielsweise die Auswirkungen korporatistisch-kapitalistischer Praktiken an einem beliebigen Ort zu verstehen, muss man erkennen, wie sich diese Prozesse in der historischen Geografie bestimmter Orte abgelagert haben. Die Metapher des Kartierens verwendet Katz, weil sie Feministinnen dazu anzuhalten will, Kämpfe über bestimmte einzelne Orte hinweg zu artikulieren: »Höhenlinien sind Linien konstanter Höhen. Sie verbinden Orte genau gleicher Höhe, um die dreidimensionale Form eines Terrains erkennbar zu machen« (Katz 2001: 1231). Jede Höhenlinie stellt sie sich als einen bestimmten Prozess vor zum Beispiel den Prozess der Privatisierung des öffentlichen Dienstes. Die Herausforderungen, die eine derartige neoliberale Politik an die Existenzgrundlage der Haushalte und an Geschlechterverhältnisse stellt, werden nicht an allen Orten die gleichen sein, denn sie sind in die Spezifika jedes Ortes eingebettet. Doch können diese Herausforderungen den Ausgangspunkt dafür bilden, Kämpfe über gemeinsame, wenn auch ungleiche Erfahrungen mit den sich verschlechternden Lebensbedingungen zu artikulieren.